Interdisziplinäre Workshop-Reihe „Comics als Metageschichte. Medialität, Ästhetik, Zirkulation“ im Sommersemester 2015
1. Thema/inhaltliche Ausrichtung
Wie Comics erzählen, wie Geschichten im Comic erzählt werden und wie auch Geschichte als Sujet in Comics erzählt wird, ist der Untersuchungsgegenstand des interdisziplinären Kölner Comicnetzwerks mit VertreterInnen aus der Geschichtswissenschaft, der Japanologie, der Kunstgeschichte und der Germanistik. Im Mittelpunkt des Interesses stehen nicht nur die Bedingungen der Möglichkeit für Comiclektüre und -distribution, sondern auch die Verbindungen zwischen Gesetzmäßigkeiten der Produktion und spezifischer internationaler Erzählweisen mit Modi der Rezeption und Zirkulation.
Kaum eine comicwissenschaftliche Arbeit vermeidet es, auf die spezifische Hybridität ihres Gegenstandes hinzuweisen, auf die einzigarte Erzählweise von Bild und Text im Format räumlicher Sequenzialität. Die singuläre Koppelung traditionell unterschiedlicher und seit Lessings Laokoon-Studie nachhaltig diskutierter Kodierungen medialer Ausdrucksformen lässt den Comic dabei auf der Oberfläche einfach und verständlich erscheinen. Die Kombination von Bild, Schrift und Sequenz steht sinnbildlich für eine instantane Evidenz, die beispielsweise für Gebrauchsanweisungen oder in der Werbung zum Einsatz kommt. Das genaue Zusammenspiel, die Wechselwirkungen und Mechanismen dieser Kodierungen, sind allerdings umso schwieriger zu beschreiben. Wie also Comics genau erzählen – jenseits einer narratologischen Begrifflichkeit, die exklusiv für Erzählliteratur gedacht ist –, bleibt trotz einiger Untersuchungen in diesem Bereich weiterhin Desiderat einer Comicforschung und -didaktik, die unter anderem auf Bild, Text, Sequenzialität und Paginalität setzen muss.
Zwar sind historisch und formal begründet die Perspektiven im Comicbild oder Comicrahmen (Panel) in den okularisierten Fachbegriffen von Kameraeinstellung und -fahrt („Closeup“, „Zoom“, „Plansequenz“, „Schwenk“, „Jump Cut“) gut beschreibbar, aber der Comic ist im Gegensatz zum Film ein Medium des Raums. Seine Elemente wie Panel, Bildstreifen oder sind statisch. Die Mise en Scène als Inszenierung des Raums der Erzählung und das Layout, der Multiframe einer Seite oder Doppelseite als oberflächlich extradiegetische Gestaltung einer Comicseite, können überdies nicht getrennt analysiert werden. So bleibt beispielsweise das Konzept des „Schnitts“, der einen filmischen Übergang von einer Szene zur nächsten markiert und damit syntagmatisch die Achse der Zeit anzeigt, reine Metapher. Der Comic gehört in jedem Fall noch der Gutenberg-Galaxis des Buches an. Er wird geblättert, gelesen, und der Blick wechselt stets zwischen kursorischer Textlektüre und statarischer Bildbetrachtung. Insofern hat sich für den Comic bislang nur in Ansätzen eine eigene Wissenschaftssprache ausgebildet.
Das Lehrprojekt fokussiert auf folgende drei zentrale Aspekte/Fragestellungen:
(1) Ästhetik:
Eine Comicnarratologie umfasst im Wesentlichen alle ästhetischen, dramatischen und rhetorischen Dimensionen des Comics. Von der Mise en Scène des einzelnen Panels über lineare Bildstreifen bis zur Waffelstruktur des Multiframe einer Seite oder Doppelseite und der Präsentation als Heft, Album oder Graphic Novel werden narrative Entscheidungen durch die Konfiguration von Text und Bild im Raum bestimmt. In den Blick genommen werden also spezifische bedeutungs- und vor allem: geschichtsbildende Formen – im Mikrobereich von Panel, Parergon und Pagina sowie im Makrobereich von Figurenzeichnung, Handlungsverlauf oder Farbwahl.
(2) Medialität:
Eine Medientheorie des Comics steht noch aus. Ob und wie die Konfiguration der Lektüre eines Comics und das Betrachten eines Comics aussehen und wie dabei spezifische Kulturtechniken eingefordert werden, ist ein Bereich medienwissenschaftlicher Analyse. Einfache Lese- und Betrachtungsstrategien wie das Scannen einer ganzen Seite oder Doppelseite vor der genauen Lektüre, wie das Blättern und Zurückblättern, die Fixierung einzelner Panels oder Sequenzen oder auch die spezifische Differenz der Leserichtung zwischen europäisch-amerikanischen und japanischen Comics sollen dabei zum Thema werden.
(3) Zirkulation und Agentur:
Nachdem von einer Zeitenwende in der Entwicklung des visuellen Erzählens durch Globalisierung, Digitalisierung und Transmedialisierung gesprochen werden kann, ist es wichtig, die Zirkulationen von Comicnarrativen angemessen beschreiben zu können. Dazu gehören Prozesse, die in der Übersetzung zwischen transnationalen und transmedialen Übertragungen stattfinden und sich beispielsweise als „Energien“ oder „Praktiken“ im Sinne des New Historicism beschreiben lassen, genauso wie die Frage nach der Handlungsmacht (agency) der Rezipienten/Konsumenten-Akteure, die zunehmend den Diskurs nicht nur des Comics, sondern beispielsweise in Gestalt eines digitalen Fantums oder in der Distribution von Fan-Fiction den der gesamten Popularkultur bestimmen
2. Didaktisches Konzept, Lehr- und Lernziele
Das Lehrprojekt besteht aus drei Workshops und einer Open Session. In den drei Workshops (April, Mai, Juni), jeweils auf vier Stunden (Freitags 12-16 Uhr) angelegt, werden die oben genannten drei Aspekte Ästhetik, Medialität und Zirkulation diskutiert. Studierende und Lehrende der beteiligten Fächer kommen an diesen Terminen zusammen; zusätzlich sollen jeweils zwei auswärtige ExpertInnen pro Termin eingeladen werden. Die Open Session (Juli) soll eine öffentliche Veranstaltung (Vortrag mit Diskussion und Live-Demonstration) mit zwei „PraktikerInnen“, also Comic-ZeichnerInnen bzw. -AutorInnen bilden.
Bei diesem Format handelt es sich um eine innovative Form forschenden Lernens, bei der Multiperspektivität sowie die Einübung des interdisziplinären Dialogs im Vordergrund stehen.
Alle beteiligten Lehrenden forschen auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus zum Comic – eine außergewöhnliche Situation in Köln, deren Potential genutzt werden sollte. Bei der (didaktischen) Gestaltung der Workshops werden unterschiedliche Methoden und Sozialformen miteinander verknüpft. Neben Impulsreferaten der auswärtigen Gäste bildet die Arbeit in interdisziplinär zusammengesetzten (Klein- )Gruppenaus Studierenden und Lehrenden ein wichtiges Element. Hierbei geht es vor allem um die problemorientierte Auswertung und den kritischen Umgang mit Forschungsliteratur sowie die Reflexion unterschiedlicher (disziplinärer)
methodischer und theoretischer Ansätze. Die (Klein-)Gruppen erarbeiten Aspekte des jeweiligen Workshop-Themas, stellen die Ergebnisse anschließend im Plenum vor und diskutieren sie. Das kann beispielsweise in Form einer Posterpräsentation geschehen, welche nicht nur die Ergebnisse sichern, sondern auch in einer Ausstellung am Ende des Semesters einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden kann.
Das eröffnet den Studierenden ein breites Spektrum auch an alternativen Formen von Leistungsnachweisen neben den „klassischen“ Möglichkeiten, welche die einzelnen Fächer vorsehen, etwa Referate, Hausarbeiten oder Klausuren. Möglich ist – in Absprache mit den Lehrenden und den Vorgaben der jeweiligen Fächer – etwa die Erstellung eines Posters, die Vorbereitung und Moderation einer Podiumsdiskussion oder die Erstellung eines Portfolios, das Schwierigkeiten und Chancen der interdisziplinären Zusammenarbeit reflektiert.
Schließlich verbindet dieses Lehrkonzept den interdisziplinären Dialog mit der Verortung im jeweils eigenen Fach. Die Workshops sollen deshalb nicht isoliert stattfinden, sondern als integrativer Bestandteil von Lehrveranstaltungen der einzelnen Fächer angeboten werden.
Auf diese Art und Weise können die jeweils spezifischen Fragestellungen, Herangehensweisen und Methoden der Japanologie, Germanistik, Kunstgeschichte oder Geschichtswissenschaft diskutiert und vertieft werden.
Dabei handelt es sich um folgende Veranstaltungen:
Felix Giesa: Der shōnen manga – Ästhetik, Merkmale und Themen einer vermeintlichen Jungslektüre (Hauptseminar, Mo. 10-11.30 Uhr)
Nina Heindl: Comics. Ästhetik der neunten Kunst (Seminar, Mi., 12-13.30 Uhr)
PD Dr. Sylvia Kesper-Biermann: Verflochtene Vergangenheiten. Geschichte in Comic und Manga (Arbeitskurs, Fr. 12-13.30 Uhr)
Prof. Dr. Stephan Köhn: Der shôjo manga als narratives Paradigma im Japan der Nachkriegsgeschichte (Seminar, Mi. 10-11.30 Uhr)